Content Marketing – die Rettung für den Journalismus?
6Ertrinkende greifen nach jedem Strohhalm. Und Journalisten in den heutigen Zeiten auch. Der neueste Strohhalm heißt „Content Marketing“.
Wann genau der Begriff „Content Marketing“ angefangen hat, durch die Köpfe zu geistern, kann ich nicht sagen. Doch man liest derzeit überall von ihm, heiß wird diktiert, wie Content Marketing unseren Beruf – den des Journalisten – verändern wird. Das US-Portal Mashable fragte sogar: „Can Content Marketing Save Journalism?“Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einmal klären, was denn dieses merkwürdige Content Marketing überhaupt ist: Content Marketing ist ein Hype-Wort, dass zum Beispiel Corporate-Publishing-Agenturen wie Kircher-Burkhardt in diesen Tagen fast mantraartig wiederholen.
Es heißt in letzter Konsequenz nichts anderes, als dass Unternehmen zu Verlagen werden. Während die Industrie in den guten, alten Zeiten darauf angewiesen war, ihre Botschaften per Anzeigen oder PR in die Medien zu bringen, machen sie heute einfach ihre eigenen Medien. Im Netz, im Appstore, im TV, am Kiosk. Statt Werbung verbreiten diese Unternehmen, strategischen Content, der auf den ersten Blick nur wenig mit ihrer Marke zu tun hat – und gerade deshalb so effektiv ist, übrigens auch bei der Google-Suche.
Wie funktioniert Content Marketing?
Um mal wieder einen Branchenbegriff los zu werden: Der Trend beim Content Marketing geht weg von dem klassischen „Paid Media“ (Anzeigenschaltungen) über „Sponsored Media“ (vom Unternehmen klar gekennzeichnet gesponserte Medien) zu „Owned Media“ (eigenen Medien).
Das Unternehmen hat plötzlich eine Reichweite und Glaubwürdigkeit, die vorher nicht bestand – oder vielleicht nur durch eine Berichterstattung in traditionellen Medien erreichbar war.Das Unternehmen hat plötzlich eine Reichweite und Glaubwürdigkeit, die vorher nicht bestand – oder vielleicht nur durch eine Berichterstattung in traditionellen Medien erreichbar war. Und hat man schlaue eigene Medien geschaffen, ist der Weg zu „Earned Media“ nicht mehr weit – die soziale Komponente. Denn wer richtig gute, nicht zu werbliche (digitale) Medien macht, der wird in den sozialen Netzen geteilt. Die Inhalte verselbständigen sich, werden Teil der Netzgemeinschaft. Das Unternehmen hat plötzlich eine Reichweite und Glaubwürdigkeit, die vorher nicht bestand – oder vielleicht nur durch eine Berichterstattung in traditionellen Medien erreichbar war.Tatsächlich entdecken Journalismusforscher rund um den Globus, dass sich die Leser zunehmend von den traditionellen Medien abwenden, weil diese nicht mehr ihre Wünsche erfüllen. Neben Blogs, sozialen Medien und „spitzen“ journalistischen Webseiten/Magazinen springt Content Marketing in die Bresche.
Der „Gatekeeper“ Verleger ist plötzlich aus dem Weg geräumt. Verlage sind ein Modell von gestern…
Wer sehen möchte, wie so etwas funktioniert, muss sich nur die US-amerikanische Coca Cola Seite ansehen. Oder schaut Euch an, was Red Bull Publishing macht. Jedes mal, wenn ich „Servus in Stadt und Land“ sehe, bin ich weg geblasen, wie toll Print heute sein kann, wenn die Kosten keine Rolle spielen. Im Netz wären dann zum Beispiel auch abseits von Verlagen so tolle Stories wie etwa das Snow Fall der New York Times möglich.
Und jetzt sind wir wieder bei den Journalisten.
Auch wenn die Unternehmen keine Verlage mehr brauchen, brauchen sie doch Journalisten.Denn auch wenn die Unternehmen keine Verlage mehr brauchen, brauchen sie doch Journalisten. So arbeiten auch bei „Servus in Stadt und Land“ einige liebe Kolleginnen, die mir aus früheren Stationen bekannt sind. Tatsächlich unterscheidet sich das Heft und seine Redaktion in nichts von einer klassischen Redaktion – nur dass eben ein finanzstarker Energy-Drink-Konzern dahinter steht.
Ist das nun schlecht?
Nun, bei einem Heft der Landlust-Klasse glaube ich das nicht. Hier kann ich mir nur schwer vorstellen, wie sich der Einfluss eines Getränke-Konzerns negativ auf die redaktionelle Unabhängigkeit auswirken kann – die Bäuerin auf Red Bull? Unglaubwürdig!
Was passiert, wenn eine Versicherung plötzlich ein Finanztest-Magazin herausbringt?Schwieriger wäre es aber, wenn Kircher-Burkhardt das für die Allianz aufwändig und mit sehr viel Journalismus produzierten Kundenmagazin „1890“ plötzlich als unabhängiges Finanztest-Magazin positionieren würde. Oder die CDU/CSU/SPD/Linke ein politisches Magazin heraus gäbe, das auf den ersten Blick für den unbefangenen Leser unabhängig wirkt – und ihn dann auf ganz unauffällige Art in die eine oder andere Richtung drängt. Ähnliches kann ich mir mit „ferngesteuerten“ Polit-Blogs im Internet vorstellen. Angeblich unabhängig, aber finanziert von einem Auftraggeber mit ebenso dezidierter Absicht wie tiefen Taschen.
Nochmal: Ist das nun schlecht?
Nicht per se. Man muss sich nur mit dem Gedanken anfreunden, dass man beim Content Marketing seine Lousy Pennies nicht mehr von einem klassischen Verlag erhält, sondern von einem Brausehersteller, einem Versicherer, einem Unterhaltungselektronik-Konzern…
Ob das noch der Journalismus der reinen Lehre ist, bleibt dahin gestellt…
Was muss also passieren, damit Content Marketing ein Feld für anspruchsvolle Journalisten wird?
Journalistischer Anspruch und Corporate Publishing passen eigentlich hervorragend zusammen, wie ich finde. Wer LousyPennies aufmerksam liest, weiß, dass ich selbst ja einen Großteil meines Lebensunterhalts mit Corporate-Publishing-Projekten (und Content Marketing!) bestreite – und mich im fortwährenden Selbstzweifel frage, ob ich da eigentlich noch Journalist bin.
Deshalb finde ich die Grund-Idee des Content Marketing so spannend:
Journalistisch einwandfreie Geschichte zu produzieren (nein, keine Enthüllungs und Investigativ-Geschichten), die angemessen bezahlt werden und eine begeisterte Leserschaft erreichen.
Der journalistische Anspruch ist nichts Wert, wenn der Kunde nicht will.Das Problem, das ich hier sehe, ist tatsächlich ein Grundlegendes. Denn so schön die Idee klingt und so gewinnbringend sie für beide Seiten sein kann, so sehr weiß jeder Journalist aus dem Corporate Publishing Bereich, dass aller journalistischer Anspruch nichts Wert ist, wenn der Kunde nicht will.Dort wo Produktmanager herrschen und nicht Journalisten, wird das fertige Produkt nur in den seltensten Fällen urjournalistisch sein.
Warum auch? Irgendwas müssen wir doch auch auf unseren Journalistenschulen und in den Volontariaten gelernt haben, was wir den Produktmanagern und Ingenieuren voraus haben. Ich könnte auch kein Auto bauen und würde nicht erkennen, wenn da ein Zahnrad falsch angeschraubt ist.
Für mich heißt das:
Der Auftraggeber muss sich lösen von seinem klassischen Produkt-Proporz-Denken und sich einlassen auf journalistisch-kreative Inhalte.Damit der tolle Gedanke des Content Marketing und von Owned Media funktioniert, muss der beauftragte Journalist ganz viel Überzeugungsarbeit leisten. Und der Auftraggeber muss erkennen, dass er mit klassischem werblichen, unternehmenszentrierten Inhalten auf Dauer nicht sonderlich viele Blumentöpfe gewinnen wird. Er muss sich lösen von seinem klassischen Produkt-Proporz-Denken und sich einlassen auf journalistisch-kreative Inhalte – dazu gehört viel Mut und Vertrauen in sich selbst und den beauftragten Journalisten.Es muss also die Aufgabe von uns Journalisten sein, Überzeugungsarbeit zu leisten – und in den Unternehmen einen Sinn für gut produzierte Medien zu schaffen. Medien, die genauso funktionieren, wie eine Publikumszeitschrift. Die Geschichten erzählen. Die spannend sind. Die gerne gelesen werden. Die nicht nur schön anzuschauen sind – und durch ihre Glaubwürdigkeit auch dem Unternehmen Glaubwürdigkeit geben, das sie finanziert.
Erst wenn die Unternehmen erkennen, dass sie mit eigenen aber journalistisch unabhängig produzierten Medien tatsächlich mehr erreichen können, als mit stumpfer Eigen-PR, die bei den meisten Lesern sofort im Papierkorb landet, funktioniert der Gedanke des Content Marketing wirklich – und es gibt ein weites Betätigungsfeld für kreative Journalisten.
Ist Content Marketing aber nun der Retter des Journalismus?
Nun, zumindest hat Content Marketing das Potential, ganz viele Journalisten zu retten – und ihr Leben wieder auf eine solide, finanzielle Basis zu stellen. Dass damit der aufklärerische Journalismus im Sinn der 4. Gewalt im Staate gerettet werden könnte, so wie ihn glücklicherweise noch viele Kollegen verstehen und praktizieren, glaube ich nicht.
Als ich den Link von Mashable auf unserer Facebook-Seite gepostet habe, hat ein Kollege so geantwortet:
Es wird auf eine Mischung hinauslaufen aus Unternehmen und Stiftungen. Die Verlage sind tot.
Meine Meinung ist: Vielleicht wird es einige Verlage erwischen – aber viele haben die Power und die tiefen Taschen, den Medienwandel zu überstehen. Stiftungen sind sicher auch eine Möglichkeit.
Ich freue mich aber auf die vielen schönen Medien in der Offline- und Online-Welt, die entstehen, wenn die Verantwortlichen in den Unternehmen anfangen, ihr Marketing-Budget direkt in die Taschen von kreativen Journalisten zu schaufeln.
Disclosure: Als Unternehmer-Journalist mit eigenem Corporate Publishing Unternehmen ist Content Marketing für mich persönlich natürlich ein besonders spannendes Feld. Und ein Feld, über das ich nicht nur schreibe, sondern in dem ich auch unternehmerisch aktiv bin und meine LousyPennies verdiene.
Es wäre wirklich schön, wenn durch von Unternehmen finanzierte unabhängige und qualitätiv hochwertige Medien entstünden. Da ich das Thema „Marketingabteilung“ aus der Werbung im Ansatz kenne glaube ich leider nicht daran. Wenn der Produktabsatz stimmt ist alles gut, aber sobald die Zahlen nicht den Zuwachs-Vorgaben entsprechend steigen kommt der Produktmanager und macht seinen Job: er nimmt Einfluss. Welches Unternehmen sieht sich denn in der Gönner-Pose, auf eigene Kosten und ohne eigenen Nutzen guten Journalismus möglich zu machen? Ein Unternehmen will eben Geld verdienen, das ist sein Urzweck. Das kann man ihm nicht übel nehmen. Davon leben wir alle.
Solange die Menschen, die die Medien konsumieren die teilweise unterirdische Qualität der Medien akzeptiern wird sich da auch nichts ändern. Und wer lieber kostenlose Infos will darf sich eben auch nicht beschweren, wenn die Qualität entsprechend ausfällt.
Wie der Schwabe sagt: zahl dei‘ Sach‘, dann brauchsch’d ned ‚Danke“ sage‘
Ich verstehe nicht, wieso man den im Journalismus etablierten Begriff „Corporate Publishing“ jetzt durch das vermeintlich hippere „Content Marketing“ ersetzen sollte. Bei Corporate Publishing denke ich an sorgfältig gemachte Magazine von Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Bei Content denke ich an billiges Füllmaterial, das man bei Contentbrokern kaufen kann, welche die ihrem Prekariat fünf bis zehn Euro für einen Text zahlen. Mancher Google-Trickser lässt diese Texte anschließend noch durch die Spinning-Software laufen. Ich denke bei Content bestenfalls an zwanzigfach verwurstete Artikel aus dem Lifestyle-Bereich, die bei Webmailern einen wesentlichen Teil des redaktionelles Angebots ausmachen.
Andere Sicht, aber auch schön: http://neusprech.org/content/
„Deshalb finde ich die Grund-Idee des Content Marketing so spannend: Journalistisch einwandfreie Geschichte zu produzieren (nein, keine Enthüllungs und Investigativ-Geschichten), die angemessen bezahlt werden und eine begeisterte Leserschaft erreichen.“
Danke für die Einschränkung in den Klammern. Die gefällt mir gut. Denn Großkonzernen, die keinen originären Profit aus einem ostentativ unabhängigen Publizieren ziehen, geht es auch im publizistischen Bereich primär um Planbarkeit und somit um Risiko-Reduzierung. Investigativ ist immer Risiko, also nichts für Nicht-Verlage.
„Es heißt in letzter Konsequenz nichts anderes, als dass Unternehmen zu Verlagen werden.“
Und genau hier liegt der Hund begraben. Ein Content Marketing Produkt, wie es hier beschrieben wird, klingt in erster Konsequenz ja schön und gut, aber auf Dauer kann ich dem nichts abgewinnen. Verlage sind ja insofern auch nichts anderes als Unternehmen. Der Unterschied, dass „richtige“ Unternehmen ihre Haupteinnahmequelle woanders sehen, mag ja vorhanden sein, aber Verlage haben doch inzwischen auch weitere Zweige.
Wenn jetzt ein Unternehmen ein Magazin herausbringt, sich das ganze dann wie oben entwickelt, wird früher oder später ein netter Buchhalter innehalten und das ganze weniger als Marketing sehen, sondern zum Geldverdienen. Und schwupps sind wir wieder beim klassischen Verlagswesen, eventuell mit Anzeigenverkäufen und Auflagendruck.
Ob das ganze dann zu einem Kreislauf wird, ist natürlich nicht abzusehen, aber die durchaus schöne Idee, dass Unternehmen einfach so nebenbei ein erfolgreiches Produkt auf Dauer ohne (monetären) Profitgedanken betreiben, halte ich persönlich für unrealistisch.
Meines Erachtens und auch meiner Erfahrung nach wird es sehr schwierig werden, richtigen Journalismus in Form von Content Marketing zu betreiben. Und damit meine ich nicht investigativen Journalismus! Dies wird leider auch hier angeführt, um die Sichtweise auf den Journalismus zu differenzieren. Ist aber so nicht korrekt, denn investigativer Journalismus ist nur ein Teilbereich journalistischen Arbeitens. Mir geht es eher um den eigentlichen Kern einer journalistischen Arbeitsweise: um objektive Fakten, über die neutral, also werbe- und PR-frei, berichtet wird. Da habe ich meine berechtigten Zweifel. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele Unternehmen – auch über externe Agenturen – Content Marketing betreiben, das qualitativ zum Himmel schreit und den eigentlichen Sinn des Content Marketing verfälscht. Da wird dann z.B. ein fein säuberlich geschriebener Ratgeberbeitrag eingereicht, der nur dazu dient, dass das Unternehmen durch Keywords im Text bei Google gefunden wird. Entsprechend oberflächlich wird das eigentliche Thema des Beitrags abgehandelt. Informationswert oft gegen Null. Die Gleichung ist einfach: Ein schnell geschriebener, oberflächlicher Beitrag, der nicht viel kostet und mit etwas Glück landet das Unternehmen bei Google weit vorne. Reicht doch. Freue mich auf weitere Beiträge. :-)
Was schlecht daran ist: Wenn Unternehmen z.B. Landlust-Magazine publizieren, ohne dies als Unternehmensmagazin zu kennzeichnen (und das ist der feine Unterschied zw. Content Marketing und Corporate Publishing @Irene), dann ist das Indoktrination. Denn kein Unternehmen wird Geld in so ein Magazin stecken, wenn es nicht davon profitiert – und sei es nur dadurch, dass Themen auf die Agenda gesetzt werden, die den Absatz bestimmter Produkte fördern. Z.B. werden Berichte über Krankheiten genau dann lanciert, wenn ein Pharmaunternehmen ein neues Medikament auf den Markt bringt – da muss dann nicht mal ein Produktname dabeistehen, die parallel geschaltete Werbekampagne in den Mainstreammedien erzeugt die Verknüpfung. Journalismus (guter) hingegen setzt Themen unabhängig von Marketingüberlegungen, sondern nach Relevanz.