Wie mich meine Seminargruppe um den Schlaf brachte und warum das gut war
5Spät nachts und ich liege wach. Der Grund ist meine Seminargruppe hier beim VHS-Kurs „WordPress intensiv“. Fünf Tage lang lernen sie am Starnberger See mit der Blogsoftware umzugehen. Aber ich drohe sie zu verlieren …
Die Crux ist die: Alle haben ein anderes Bild davon im Kopf, was Wordpess für sie tun soll. Ein Bild, das ich nicht sehen kann. Alle wollen gleich werkeln und umsetzen, alle mit einer anderen Richtung. Sie suchen ein bestimmtes Werkzeug in WordPress für sich, einige wollen etwas darin sehen, das am Kerngedanken von WordPress vorbei geht – nämlich häufig Inhalte damit zu publizieren. Und ich merke, wie das die Gruppe zu sprengen droht.
Darum also liege ich wach. Denn als Dozent ist es meine Aufgabe sie wieder in ein Boot zu holen. Ich muss wissen, welche Bilder in ihren Köpfen stecken. Ich will diese Bilder abfragen und verstehen.
Sie sollen es in wenigen Sätzen sagen
Ich denke an meine eigenen Webseiten. Wie würde ich sie jemanden erklären, der sie nicht vor sich hat. Ich rede in das Dunkel meines Zimmers hinein und feile an der Erklärung, bis ich hier ankomme:
„Triathlon-Tipps.de ist eine Seite über Triathlon. Ich glaube fest daran, dass sich jeder Triathlet weiterentwickeln kann – egal von welchem Niveau aus er startet. Darum gebe ich meinen Besuchern Tipps und Hintergrundwissen zur optimalen Gestaltung des Trainings und zum erfolgreichen Ablauf des Wettkampfes. Ich erhoffe mir dafür Werbeeinnahmen durch möglichst viele Besucher“
Sicher noch kein perfekter Satz, aber ich denke, ich könnte so meine Gruppenteilnehmer besser verstehen.
Der nächste Morgen – wird die Idee Anklang finden?
Morgens überspringe ich das Frühstück und gieße das Ganze in ein Arbeitsblatt zum Ausfüllen. Darauf steht:
Hallo,
ich veröffentliche eine Website zum Thema …
ich glaube fest daran, dass …
darum gebe ich meinen Besuchern …
ich erhoffe mir dafür …
Ich drucke es einige Male aus, gehe zu meinem Kurs, lege ihnen die Fragen vor und zeige ihnen drei Beispiele, wie ich das ausgefüllt habe. Danach lasse ich sie zwanzig Minuten lang denken und schreiben.
Und zum ersten Mal in der Woche ist es im Kurs mucksmäuschenstill.
Ergebnis vorstellen im Schutz der Gruppe
Als die Zeit um ist, sollen alle Teilnehmer durchzählen: eins – zwei – drei – eins – zwei – drei … Jeweils alle mit der gleichen Zahl bilden eine Gruppe. Sie sollen sich zusammenstellen und sich die Ergebnisse gegenseitig vortragen. Danach Feedback.
Ich gebe dazwischen den Helikopterdozenten, lande mal bei dieser, mal bei jener Gruppe und versuche allen noch neue Impulse zu geben oder einen Perspektivenwechsel zu veranlassen. Und natürlich soll jeder Teilnehmer durch die Gruppe seine Sätze noch schärfen.
Alle haben gelernt
Es klappt. Die Leute sind ersteinmal komplett von WordPress als Werkzeug weg und machen sich Gedanken, was sie eigentlich wem erzählen wollen und warum. Plötzlich sind die, die vorher vom WordPress-Wissen schon weiter voran waren als der Rest wieder auf einer Höhe mit denen, die das System zum ersten Mal gesehen haben. Die Technik wurde durch Menschen und deren Geschichten ersetzt.
Und was für welche!
Eine Teilnehmerin erzählt mir, dass sie dadurch angeregt wurde, neu über ihren Beruf nachzudenken. Ein anderer bittet mich um ein weiteres Blatt zum Ausfüllen – er wolle das allen Mitarbeitern in seiner Firma kopieren.
Alle sehen am Ende klarer und sind zufriedener.
Ich übrigens auch. Denn meine Gruppe ist wieder im selben Boot. Ich weiß jetzt, wo jeder einzelne hin will. Und ich weiß, wie ich von da aus weiter gehe.
Gut dass ich nicht darüber geschlafen habe.
PS: Klar, diese Sätze stehen in keinem Lehrbuch. Dennoch finden sich auch „Business“-Entsprechungen. Das Thema kommt schon in die Richtung des Haupt-Keywords der Seite. „Ich glaube …“ nennen andere „Mission Statement“ oder „Claim“. Warum „glauben“? Dazu empfehle ich dieses TED-Video mit Simon Sinek.
Das Geben zeichnet schon einen kleine Redaktionsplan vor und hinter der Erwartung steckt der persönliche Erfolg, vielleicht sogar ein Businessmodell.
Diese einfachen Sätze aber zwingen einen zu reden, wie ein normaler Mensch oder wie ein Blogger. Eben mal nicht in den Beamten- oder Business-Ton zu fallen. Das finde ich besser.
Sehr gute Fragestellungen, die ich gern teile. Erstmal Grundsätzliches klären, bevor es an Tools, Details und Umsetzung geht. Wie gut, dass dich deine Seminargruppe da um den Schlaf gebracht hat. Sonst hätten wir jetzt nicht diesen Fragebogen ;) Tx
Super gemacht, perfekte Lösung! Das Problem kenne ich auch sehr gut, der eine verzweifelt schon mit dem E-Mail-Account während der andere Teilnehmer bereits seinen ersten Artikel während des Workshops schreibt.
Immerhin hast Du (ich bin mal so frei) noch bemerkt, dass da was schief läuft. Ursache: Du betrachtest das Seminar (den Workshop, oder was auch immer) als LEHRveranstaltung. Das sollte ein Seminar aber nicht sein. Ein Seminar wird veranstaltet, damit andere etwas lernen (können). Dementsprechend sollte es eine LERNveranstaltung sein. Aus diesem Grund verwende ich seit Jahren als Einstieg eine Folie mit einem Textauszug aus „Alice’s Adventures in Wonderland“ (Weggabelung Grinsekatze). Da sowohl Lewis Carroll, als auch John Tenniel als Ur-Illustrator über 70 Jahre tot sind, ist das dann auch urheberrechtlich kein Problem mehr. Und mit dem Hinweis, dass ich meine Teilnehmer nur ungern „irgendwohin“ schicke, erbitte ich von allen Teilnehmern, dass sie mir ihre Ziele für die Veranstaltung nennen und ermuntere dabei ausdrücklich, dass ich kein Problem habe, alle vorbereiteten Materialien wieder einzupacken. Dieses Vorgehen eignet sich für alle Veranstaltungen, bei denen kein Teilnahmezwang (logisch, bei einem Uni-Pflichtseminar lautet das Lernziel häufig „die Klausur gut zu bestehen ;-)) besteht – und genau das sollte ja auch bei einem VHS-Kurs der Fall sein.
LG Markus
PS: Mein Kommentar soll keineswegs Dein erarbeitetes Zielfindungsschema klein machen – das halte ich für sehr zielführend im beschriebenen Fall!
Hallo Markus,
na klar, auch wir fragen regelmäßig zuvor die Teilnehmer, was sie sich erwarten und was sie möchten. Das rahmt unsere Seminare/Workshops stets ein. Zudem ist ein hoher Faktor an Selbstmachen und Üben mit dabei, da jeder bei uns ja ein eigenes WordPress bekommt, an dem er sich austoben kann.
Und natürlich klammere ich mich nie an den vorher geplanten Ablauf oder die Materialien. Andersherum habe ich auch noch immer genug in der Hinterhand, um notfalls eine Schippe draufzulegen, sollte die Gruppe weiter sein, als gedacht.
Was ich durch die Gruppenarbeit herausfinden wollte, war am Ende nicht, was die Teilnehmer wollten, sondern was sie brauchten. Und darüber waren sich einige sehr im klaren, andere aber noch nicht. Nun, am Ende waren wohl alle zufrieden, wenn ich die Auswertungen sehe…
hallo an alle, die mit dem gedanken spielen, ein word press seminar bei stephan goldmann zu buchen. meldet euch gleich an! ich war in oben beschriebener gruppe. ich weiß nicht, wieviel anteil ich daran hatte, ihn um den schlaf zu bringen. ich werde auch sicher nicht als große leuchte in die geschichte von word press eingehen, aber: unser dozent stephan goldmann war fantastisch. unsere gruppe war so heterogen, dass es schmerzte. dafür schlug sich unser dozent wacker (sicher half ihm seine triathon fitness!): mal war er ein raubtier dompteur, mal ein einfühlsamer psychotherapeut. seine flexiblilität auf unsere anliegen einzugehen, war enorm. hut ab! das seminar ist erst 3 tage her + seit gestern ist schon mein beitrag auf einem word press blog veröffentlicht. (wen’s interessiert: http://www.travelepisodes.com) also, ein voller erfolg, dank stephan goldmann! danke sagt teilnehmerin karin lochner