30 Jahre Hitler-Tagebücher: Was alle heutigen Journalisten daraus lernen können…

Bild aus ZDF Doku "Jahrhundertfälschung: Hitlers Tagebücher"

…und warum wir heute im Internet die Fälschung aufdecken würden.

Am 25. April 2013 ist es 30 Jahre her, dass der “Stern”-Reporter Heidemann in einer Pressekonferenz in Hamburg die vermeintlichen Hitler-Tagebücher in die Kameras hielt. Was für ein Coup, was für ein Medien-Echo … was für ein Katastrophe. *

30 Jahre Hitler-Tagebücher, und man sollte meinen, die Verlage und Medienmacher hätten daraus die richtigen Schlüsse gezogen. Dass deren Redakteure nun wieder genauer recherchieren dürfen, sich nicht durch Druck und überschäumende Emotionen (und Geldgier) zu einer übertriebenen Geschichte verleiten lassen.

Kurz: Dass sie der journalistischen Anforderung gerecht werden dürfen.

Die gute Nachricht: Für einige ist das wirklich besser geworden. Die schlechte: Für viele nicht.

Der gedrängte Journalist

Kannst Du Dir folgende Szene vorstellen? Die Moderatorin eines investigativen TV-Magazins sagt: “Guten Tag, heute haben wir die Sendung um eine Viertelstunde gekürzt, da wir zu wenige skandalöse Themen gefunden haben.” – Unwahrscheinlich, nicht wahr?

Bild aus ZDF Doku "Jahrhundertfälschung: Hitlers Tagebücher"
Bild aus ZDF Doku „Jahrhundertfälschung: Hitlers Tagebücher“

Ob gedruckt oder gesendet, klassische Medien geben stets eine Größe vor, eine Seitenzahl, eine Sendezeit. Die muss gefüllt werden – und zwar so, dass sich die Ausgaben dafür lohnen. Journalistische Produkte müssen auf den Punkt kommen, starke Emotion erzeugen und so eine hohe Reichweite erzielen. Zugespitzt… nein, überspitzt.

Das ist keine journalistische Entscheidung mehr.

Es ist eine kaufmännische.

Der Fall “Leiharbeiter bei Amazon” ist ein aktuelles Beispiel für solch eine Überspitzung. Im Kern wohl wahr, wurde der Beitrag verschärft, bis er die nötige Emotion erzeugte. Sauber war das dann nicht mehr.

Das lässt sich heute leicht sagen. Die Frage ist nur: Hätten wir es denn unter Druck anders gemacht? Hätten wir dem Chefredakteur, dem CvD oder einem anderen Vorgesetzten die Stirn geboten? Hätten wir es verantwortet, dass die Geschichte durch Unaufgeregtheit weniger Zuschauer erreicht und im Zweifelsfall auch weniger Geld wert ist?

Wir Journalisten sind Mütter und Väter, haben finanzielle Verpflichtungen – kurz: wir sind Menschen und man kann Druck auf uns ausüben. Es verwundert kaum, wenn sich jetzt herausstellt, dass die “innere Pressefreiheit” stark abnimmt.

Der skandalisierte Leser

Auf der anderen Seite finden wir Konsumenten, die im Großen und Ganzen (aber eben nicht alle. Das ist die Chance daran!) weder nachfragen, noch differenzieren. Eine Geschichte muss über eine bestimmte Reizschwelle kommen, um sich zu verbreiten. Eine reißerische Headline gelesen – und schon auf „Teilen“ geklickt. Das ist alles.

Lieber Hyperventilation als Information.

Ein nichtjournalistisches Beispiel dazu: Auf Facebook kursierte am 9. April ein Bild von Peter Brabeck-Lethmate, dem Präsidenten von Nestlé. Darauf ein angebliches Zitat von ihm: „Zugang zu Wasser sollte kein öffentliches Recht sein.“ Es erhob sich der übliche Shitstorm auf Facebook. Übelste Drohungen … nur wenige kamen auf die Idee, einmal die Wahrheit des Zitats zu prüfen oder die Aussagen Brabecks in Zusammenhang zu stellen.

Hitlertagebücher?

Da würde heute ein Facebook-Foto mit kurzem Text reichen, schon wäre halb Deutschland von deren Existenz überzeugt – und ganz schnell hätte sich ein schöner Twitter-Hashtag gefunden.

Vorteil für selbstpublizierende Journalisten

Hier kommt die gute Seite: Wir Selbstpublizisten müssen uns weder dem Druck der Masse, noch dem Druck der Medienmaschine beugen. Kein Chefredakteur, kein CVD, kein Verleger im Nacken. Wir können uns Zeit nehmen, wenn wir wollen. Können Geschichten um der Geschichten Willen schreiben. Uns um Themen links und rechts der großen Quoten kümmern. Das Internet macht uns unabhängiger.

Wir können wieder Lust am guten Journalismus finden.

Wir müssen nicht auf der Welle der kreisenden Erregung mitreiten, wir können der Wellenbrecher sein, der – dann eben etwas später – mit der relativierenden, sauberen Geschichte daherkommt. Auch das erhält Aufmerksamkeit. Vielleicht nicht beim Massenpublikum, aber bei denen, die nach sauberen Geschichten lächzen. All diejenigen, die von den Massenmedien links liegen gelassen werden. Und die gibt es.

30 Jahre Hitlertagebücher?

Ich lehne mich aus dem Fenster und behaupte: Heute würden Journalisten (und Blogger und Crowdsourcer) aus dem Web den Skandal aufdecken.

Warum?

Weil viele von uns kritischer denken und schneller agieren können/dürfen. Denn die meisten großen Medienhäuser würden erst einmal den Hype mitreiten um den Traffic abzusahnen und nichts zu verpassen.

Derweil können wir schon kritisch nachhaken. Das ist unsere Chance. Das macht Onlinejournalismus auch als Selbstpublizisten zu echtem Qualitätsjournalismus.

* Wer die Geschichte von den Hitler-Tagebüchern nicht kennt, dem sei die ZDF-Doku „Jahrhundertfälschung: Hitlers Tagebücher“ ans Herz gelegt.

No more Mr. Bad Guy, Herr Koch! Warum die deutsche Medienszene Entwicklungshilfe braucht

Werbung in Entwicklungsländern: Billboard in Accra, der Hauptstadt von Ghana

Ich bin der Bad Guy hier oben“ – so stellte sich Thomas Koch diese Woche in Berlin vor. Auf dem Podium beim Jour Fixe des Forum Medien und Entwicklung in Berlin saßen neben Koch der FAZ-Herausgeber Werner D’Inka, der Journalist Klaus Jürgen Schmidt und ich.

Und ich musste Herrn Koch widersprechen.

In den guten alten Tagen hätten wir Journalisten den erfahrenen Media-Manager („Medienpersönlichkeit 2008“) vielleicht als bösen Buben gesehen – heute ist er ein weißer Ritter.

Denn Thomas Koch bringt das Geld.

Nicht direkt. Aber mit dem von ihm und MICT-International-Gründer Klaas Glenewinkel ins Leben gerufenen Plural Media Services erklärt er jungen Medien in der noch nicht entwickelten Welt, wie das Anzeigen- und Vermarktungsbusiness funktioniert.

Ich würde nicht sagen, dass er mit seiner Arbeit sofort Waffengleichheit zwischen den wirtschaftlich unerfahrenen Journalisten der arabischen Welt und den Media-Managern von Multimilliarden-Konzernen schafft. Aber er erklärt die Spielregeln und verrät so manchen Monetarisierungs-Trick (z.B. kostenpflichtige Anrufe bei Call-In-Sendungen im Radio statt kostenloser Rückrufe durch die Redaktion).

Er hilft den Medienmachern, ihr Potenzial in der Werbewirtschaft zu erkennen. Er sorgt manchmal dafür, dass der eine oder andere Journalist zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie ein Gehalt erhält.

Nach der Diskussion beherrschte mich nur ein Gedanke:

Warum zum Teufel macht Koch das in der dritten Welt – und nicht in Deutschland?

Denn tatsächlich entwickelt sich hier vor unseren Augen gerade ein journalistisches Prekariat, dessen Angehörige zwar voller Ideale und Engagement sind – ihre  Taschen aber sind leer.

Auch Deutschland ist zum Entwicklungsland geworden!

Zumindest in Sachen Medienfinanzierung…

Graphical Recording der Podiumsdiskussion
Graphical Recording der Podiumsdiskussion

Wenn ich davon schreibe, denke ich da an so ambitionierte Projekte, wie zum Beispiel das Weiterstadtnetz von Julian Heck oder HH-Mittendrin von Isabella David, die wir hier auf LousyPennies schon vorgestellt haben. Sie alle sind meiner Meinung nach – mehr oder weniger – auf dem gleichen Stand, wie die Medien in der dritten Welt:

Junge engagierte Journalisten hängen sich rein, verdienen aber im Höchstfall nur ein paar Lousy Pennies, die vielleicht die Serverkosten decken, aber nicht viel mehr.

Thomas Koch
Thomas Koch

Ihnen fehlt in vielen Fällen wie vielen, vielen anderen das Know-How und natürlich auch die Manpower, um die notwendigen Anzeigen für ihre Projekte zu akquirieren.

Denn dass Werbung oder ein anderes Finanzierungsmodell notwendig ist, um Medien zu finanzieren, bestritt auch in Berlin fast niemand auf dem Podium. Die FAZ etwa, so verriet uns Werner D’Inka, holt etwa 50 Prozent ihrer Einnahmen durch den reinen Verkauf herein – der Rest muss auf anderen Wegen in die Kasse finden.

Was heißt das also für die neue deutsche Medienlandschaft mit ihren vielen idealistischen Start-Up-Projekten?

  1. Journalisten muss klar werden, dass sie mit ihrer Arbeit nicht im „luftleeren Raum“ agieren. Sie müssen Geld verdienen. Und zwar am besten mit ihrem originären, journalistischen Produkt.
  2. Es müssen professionelle Strukturen geschaffen werden, die auf Augenhöhe und in der Sprache der Anzeigenkunden mit der Werbewirtschaft sprechen. Ganz bewusst kann man hier von Waffengleichheit sprechen. Denn da kann es ganz schön ruppig zugehen.
  3. Die journalistische Unabhängigkeit (und damit auch die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Leser) muss gewahrt werden.

Ein weiteres Stichwort, das in diesem Zusammenhang fiel, war die Diversifikation der Geldgeber. Je mehr man von einem Geldgeber abhängig ist, umso schwieriger wird die Sache mit der journalistischen Unabhängigkeit. Das ist in der dritten Welt genauso, wie bei uns.

Ich jedenfalls freue mich schon auf das nächste Treffen mit Thomas Koch, der mir dann hoffentlich erklären wird, wie ich auf Augenhöhe mit Geldgebern/Anzeigenkunden für LousyPennies verhandeln kann.

Podiums-Diskussion "Was kann Kultur?" beim FOME Jour Fixe 2013 Mit: Aino Laberenz, Constanza Macras, Christian Römer, Jay Rutledge, Gebrüder Teichmann, Tom Tykwer Moderation: Matthias Spielkamp
Da ich mich nicht selbst fotografieren konnte, seht Ihr hier die Podiumsdiskussion „Was kann Kultur?“
Mit: Aino Laberenz, Constanza Macras, Christian Römer, Jay Rutledge, Gebrüder Teichmann, Tom Tykwer
Moderation: Matthias Spielkamp

 

Content Marketing – die Rettung für den Journalismus?

Quelle/Copyright: City of Toronto Department of Public Works via Wikimedia/Commons

Ertrinkende greifen nach jedem Strohhalm. Und Journalisten in den heutigen Zeiten auch. Der neueste Strohhalm heißt „Content Marketing“.

Wann genau der Begriff  „Content Marketing“ angefangen hat, durch die Köpfe zu geistern, kann ich nicht sagen. Doch man liest derzeit überall von ihm, heiß wird diktiert, wie Content Marketing unseren Beruf – den des Journalisten – verändern wird. Das US-Portal Mashable fragte sogar: „Can Content Marketing Save Journalism?“ Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einmal klären, was denn dieses merkwürdige Content Marketing überhaupt ist: Content Marketing ist ein Hype-Wort, dass zum Beispiel Corporate-Publishing-Agenturen wie Kircher-Burkhardt in diesen Tagen fast mantraartig wiederholen. Es heißt in letzter Konsequenz nichts anderes, als dass Unternehmen zu Verlagen werden. Während die Industrie in den guten, alten Zeiten darauf angewiesen war, ihre Botschaften per Anzeigen oder PR in die Medien zu bringen, machen sie heute einfach ihre eigenen Medien. Im Netz, im Appstore, im TV, am Kiosk. Statt Werbung verbreiten diese Unternehmen, strategischen Content, der auf den ersten Blick nur wenig mit ihrer Marke zu tun hat – und gerade deshalb so effektiv ist, übrigens auch bei der Google-Suche.  

Wie funktioniert Content Marketing?

Um mal wieder einen Branchenbegriff los zu werden: Der Trend beim Content Marketing geht weg von dem klassischen „Paid Media“ (Anzeigenschaltungen) über „Sponsored Media“ (vom Unternehmen klar gekennzeichnet gesponserte Medien) zu „Owned Media“ (eigenen Medien).
Das Unternehmen hat plötzlich eine Reichweite und Glaubwürdigkeit, die vorher nicht bestand – oder vielleicht nur durch eine Berichterstattung in traditionellen Medien erreichbar war.
Das Unternehmen hat plötzlich eine Reichweite und Glaubwürdigkeit, die vorher nicht bestand – oder vielleicht nur durch eine Berichterstattung in traditionellen Medien erreichbar war. Und hat man schlaue eigene Medien geschaffen, ist der Weg zu „Earned Media“ nicht mehr weit – die soziale Komponente. Denn wer richtig gute, nicht zu werbliche (digitale) Medien macht, der wird in den sozialen Netzen geteilt. Die Inhalte verselbständigen sich, werden Teil der Netzgemeinschaft. Das Unternehmen hat plötzlich eine Reichweite und Glaubwürdigkeit, die vorher nicht bestand – oder vielleicht nur durch eine Berichterstattung in traditionellen Medien erreichbar war. Tatsächlich entdecken Journalismusforscher rund um den Globus, dass sich die Leser zunehmend von den traditionellen Medien abwenden, weil diese nicht mehr ihre Wünsche erfüllen. Neben Blogs, sozialen Medien und „spitzen“ journalistischen Webseiten/Magazinen springt Content Marketing in die Bresche.  

Der „Gatekeeper“ Verleger ist plötzlich aus dem Weg geräumt. Verlage sind ein Modell von gestern…

Wer sehen möchte, wie so etwas funktioniert, muss sich nur die US-amerikanische Coca Cola Seite ansehen. Oder schaut Euch an, was Red Bull Publishing macht. Jedes mal, wenn ich „Servus in Stadt und Land“ sehe, bin ich weg geblasen, wie toll Print heute sein kann, wenn die Kosten keine Rolle spielen. Im Netz wären dann zum Beispiel auch abseits von Verlagen so tolle Stories wie etwa das Snow Fall der New York Times möglich.  
Quelle/Copyright: City of Toronto Department of Public Works via Wikimedia/Commons
Quelle/Copyright: City of Toronto Department of Public Works via Wikimedia/Commons

Und jetzt sind wir wieder bei den Journalisten.

[pullquote align=“right“]Auch wenn die Unternehmen keine Verlage mehr brauchen, brauchen sie doch Journalisten. Denn auch wenn die Unternehmen keine Verlage mehr brauchen, brauchen sie doch Journalisten. So arbeiten auch bei „Servus in Stadt und Land“ einige liebe Kolleginnen, die mir aus früheren Stationen bekannt sind. Tatsächlich unterscheidet sich das Heft und seine Redaktion in nichts von einer klassischen Redaktion – nur dass eben ein finanzstarker Energy-Drink-Konzern dahinter steht.  

Ist das nun schlecht?

Nun, bei einem Heft der Landlust-Klasse glaube ich das nicht. Hier kann ich mir nur schwer vorstellen, wie sich der Einfluss eines Getränke-Konzerns negativ auf die redaktionelle Unabhängigkeit auswirken kann – die Bäuerin auf Red Bull? Unglaubwürdig! [pullquote align=“right“]Was passiert, wenn eine Versicherung plötzlich ein Finanztest-Magazin herausbringt? Schwieriger wäre es aber, wenn Kircher-Burkhardt das für die Allianz aufwändig und mit sehr viel Journalismus produzierten Kundenmagazin „1890“ plötzlich als unabhängiges Finanztest-Magazin positionieren würde. Oder die CDU/CSU/SPD/Linke ein politisches Magazin heraus gäbe, das auf den ersten Blick für den unbefangenen Leser unabhängig wirkt – und ihn dann auf ganz unauffällige Art in die eine oder andere Richtung drängt. Ähnliches kann ich mir mit „ferngesteuerten“ Polit-Blogs im Internet vorstellen. Angeblich unabhängig, aber finanziert von einem Auftraggeber mit ebenso dezidierter Absicht wie tiefen Taschen.  

Nochmal: Ist das nun schlecht?

Nicht per se. Man muss sich nur mit dem Gedanken anfreunden, dass man beim Content Marketing seine Lousy Pennies nicht mehr von einem klassischen Verlag erhält, sondern von einem Brausehersteller, einem Versicherer, einem Unterhaltungselektronik-Konzern… Ob das noch der Journalismus der reinen Lehre ist, bleibt dahin gestellt…  

Was muss also passieren, damit Content Marketing ein Feld für anspruchsvolle Journalisten wird?

Journalistischer Anspruch und Corporate Publishing passen eigentlich hervorragend zusammen, wie ich finde. Wer LousyPennies aufmerksam liest, weiß, dass ich selbst ja einen Großteil meines Lebensunterhalts mit Corporate-Publishing-Projekten (und Content Marketing!) bestreite – und mich im fortwährenden Selbstzweifel frage, ob ich da eigentlich noch Journalist bin. Deshalb finde ich die Grund-Idee des Content Marketing so spannend: Journalistisch einwandfreie Geschichte zu produzieren (nein, keine Enthüllungs und Investigativ-Geschichten), die angemessen bezahlt werden und eine begeisterte Leserschaft erreichen.
Der journalistische Anspruch ist nichts Wert, wenn der Kunde nicht will.
Das Problem, das ich hier sehe, ist tatsächlich ein Grundlegendes. Denn so schön die Idee klingt und so gewinnbringend sie für beide Seiten sein kann, so sehr weiß jeder Journalist aus dem Corporate Publishing Bereich, dass aller journalistischer Anspruch nichts Wert ist, wenn der Kunde nicht will. Dort wo Produktmanager herrschen und nicht Journalisten, wird das fertige Produkt nur in den seltensten Fällen urjournalistisch sein. Warum auch? Irgendwas müssen wir doch auch auf unseren Journalistenschulen und in den Volontariaten gelernt haben, was wir den Produktmanagern und Ingenieuren voraus haben. Ich könnte auch kein Auto bauen und würde nicht erkennen, wenn da ein Zahnrad falsch angeschraubt ist.  

Für mich heißt das:

[pullquote align=“right“]Der Auftraggeber muss sich lösen von seinem klassischen Produkt-Proporz-Denken und sich einlassen auf journalistisch-kreative Inhalte. Damit der tolle Gedanke des Content Marketing und von Owned Media funktioniert, muss der beauftragte Journalist ganz viel Überzeugungsarbeit leisten. Und der Auftraggeber muss erkennen, dass er mit klassischem werblichen, unternehmenszentrierten Inhalten auf Dauer nicht sonderlich viele Blumentöpfe gewinnen wird. Er muss sich lösen von seinem klassischen Produkt-Proporz-Denken und sich einlassen auf journalistisch-kreative Inhalte – dazu gehört viel Mut und Vertrauen in sich selbst und den beauftragten Journalisten. Es muss also die Aufgabe von uns Journalisten sein, Überzeugungsarbeit zu leisten – und in den Unternehmen einen Sinn für gut produzierte Medien zu schaffen. Medien, die genauso funktionieren, wie eine Publikumszeitschrift. Die Geschichten erzählen. Die spannend sind. Die gerne gelesen werden. Die nicht nur schön anzuschauen sind – und durch ihre Glaubwürdigkeit auch dem Unternehmen Glaubwürdigkeit geben, das sie finanziert. Erst wenn die Unternehmen erkennen, dass sie mit eigenen aber journalistisch unabhängig produzierten Medien tatsächlich mehr erreichen können, als mit stumpfer Eigen-PR, die bei den meisten Lesern sofort im Papierkorb landet, funktioniert der Gedanke des Content Marketing wirklich – und es gibt ein weites Betätigungsfeld für kreative Journalisten.
Quelle/Copyright: City of Toronto Department of Public Works via Wikimedia/Commons
Quelle/Copyright: City of Toronto Department of Public Works via Wikimedia/Commons
 

Ist Content Marketing aber nun der Retter des Journalismus?

Nun, zumindest hat Content Marketing das Potential, ganz viele Journalisten zu retten – und ihr Leben wieder auf eine solide, finanzielle Basis zu stellen. Dass damit der aufklärerische Journalismus im Sinn der 4. Gewalt im Staate gerettet werden könnte, so wie ihn glücklicherweise noch viele Kollegen verstehen und praktizieren, glaube ich nicht. Als ich den Link von Mashable auf unserer Facebook-Seite gepostet habe, hat ein Kollege so geantwortet:
Es wird auf eine Mischung hinauslaufen aus Unternehmen und Stiftungen. Die Verlage sind tot.
Meine Meinung ist: Vielleicht wird es einige Verlage erwischen – aber viele haben die Power und die tiefen Taschen, den Medienwandel zu überstehen. Stiftungen sind sicher auch eine Möglichkeit. Ich freue mich aber auf die vielen schönen Medien in der Offline- und Online-Welt, die entstehen, wenn die Verantwortlichen in den Unternehmen anfangen, ihr Marketing-Budget direkt in die Taschen von kreativen Journalisten zu schaufeln.   Disclosure: Als Unternehmer-Journalist mit eigenem Corporate Publishing Unternehmen ist Content Marketing für mich persönlich natürlich ein besonders spannendes Feld. Und ein Feld, über das ich nicht nur schreibe, sondern in dem ich auch unternehmerisch aktiv bin und meine LousyPennies verdiene.  

Leistungsschutzrecht? Nicht unser Versagen!

Sascha Lobo, Foto: Reto Klar (www.retoklar.de)

Lieber Sascha Lobo, *

ich habe Deinen Artikel gelesen und Du hast nicht Recht. Jedenfalls nicht ganz. Ich will Dir sagen, warum.

Zuerst war ich ganz auf Deiner Schiene, habe auf mich gesehen: Ich Versager. Aber das ist ein Reflex, den habe ich noch so drinnen, von damals, als ich evangelischer Konfirmand war.

Brav das Köpfchen beugen, die Schuld bei mir suchen, mich in Sack und Asche kleiden? Alter: Nicht mehr! Vielleicht haben wir irgendwie versagt, aber dieses Eingeständnis lenkt den Blick auf uns und weg von denen, die SCHULD am Leistungsschutzrecht haben, und die damit eiskalt durchkommen und sich nur ins Fäustchen lachen, wenn wir jetzt das Versagen bei uns suchen.

Reden wir also lieber über Schuld. Wer hat sie denn nun?

1. Die Verlage: Deren Schuld beginnt schon Anfang des Jahrtausends. Seitdem nämlich haben sie das Internet zu einer Kloake aus Titten, Abofallen und perverser Kriminalität stilisiert – kurz zu einem Abbild ihrer eigenen Boulevardblätter.

Noch ehe das “Kind mit dem Geburtsfehler” erwachsen werden durfte, um zu beweisen, was in ihm steckt, hatte es seine Unschuld gegenüber der älteren Generation verloren. Seitdem ist für unsere Mütter das Internet irgendwie böse – aber sicher nicht wichtig für die Zukunft Deutschlands. Unsere Eltern sind für das Internet die verlorene Generation.

Auf dem so bereiteten Boden fiel es ihnen nur allzu leicht das LSR vorzubereiten. Es erzeugte bestenfalls Häme bei unseren Eltern, am ehesten aber doch schlichtes Desinteresse.

2. Die sogenannten Qualitätjournalisten: Oh Gott, ich kann diesen widerlichen Begriff nicht mehr hören. Er versucht doch glatt das Bild von lauter Bob Woodwards und Carl Bernsteins zu zeichnen. Die Sache ist nur die: Die beiden genannten haben eine Geschichte lange recherchiert, haben sich mit Zentren der Macht angelegt und die Story teils gegen Widerstände aus dem eigenen Verlag durchbringen müssen – sie haben etwas riskiert!

Die, die immer das Wort vom hehren Qualitätsjournalisten führen, die auf Blogger verächtlich herabblicken, die haben gar nichts riskiert! Nichts! Obwohl ich kaum einen Redakteur kenne, der das LSR gutheißt (schon gar nicht bei den Online-Medien der Verlagshäuser), hat keiner den Mut aufgebracht, seinem Chefredakteur zu sagen: Komm, wir bringen das. Wir gehen gegen Springer  vor. Wir müssen das mal erzählen.

Stattdessen haben die Redaktionen das Thema entweder protegiert (Leyendecker!) oder totgeschwiegen bis es zu spät war. Die halbherzige Berichterstattung jetzt zum Schluss, war Konzession an die Netzgemeinde, in der Hoffnung ein bisschen Buzz mit abzusahnen. Nichts weiter.

3. Die Politker: Ich sage es ganz offen, mich hat schockiert, wie pervertiert das politische System in Deutschland ist. Das ist meine Naivität. Aber die Schuld liegt dennoch nicht bei mir, sondern bei denen, die den kleinen hoffnungsfrohen Demokraten in mir gestern getötet haben. Besonders die SPD und Peer Steinbrück haben mich enttäuscht. Wie schizo muss man sein, etwas, wie das LSR öffentlich schlecht zu finden, und es dennoch als Opposition durchzuwinken?

Also: Deren Versagen, deren Schuld!

Hier! Das sind die Schuldigen. Nicht wir. Nicht die Netzgemeinde. Die hat sich organisiert, war sich selten so einig. Du, Sascha Lobo, schreibst: “es wäre unsere Aufgabe gewesen, es zu erklären und die Erklärung zu verbreiten”. Nein, das wäre die Aufgabe aller Verlage, Journalisten und Politiker gewesen, zu thematisieren und zu analysieren, es über alle Medien zu verbreiten. Dafür sind sie unter anderem da. Und das deutlich zu sagen und mit dem Finger darauf zu zeigen, #aufzuschreien, das sollten wir jetzt tun. Nicht das Versagen bei uns suchen.

Deren Versagen, deren Schuld!

Noch eins zu meiner Mutter: Selbst wenn ich es geschafft hätte ihr es zu erklären (wer kann das LSR eigentlich überhaupt erklären?), gibt es einen simplen Grund, warum sie nicht motiviert dagegen aufgestanden wäre: Es betrifft sie schlicht nicht. Es betrifft dieses Netz, und das ist irgendwie voller Titten, Abofallen und Kriminalität, nicht wahr?

* Gott, wie hoffe ich, dass alleine diese Ansprache unglaublich viele Tweets und Likes bringt …

Journalisten-Diskussion: Das Märchen von den Verlagen als Gralshüter des Journalismus

Jetzt ist sie wieder da, die Diskussion: Ist ein Journalist noch ein Journalist, wenn er damit beginnt, persönlich Anzeigen zu verkaufen und mit Sponsoren zu verhandeln? Auf Facebook und Google+ ist sie aufgebrandet, nachdem ich das Interview mit Florian Treiß veröffentlicht habe. Der Macher von mobilbranche.de sagt: Journalisten müssen unternehmerisch denken, mehr zum Verleger der … Weiterlesen …

Schreib! Ein! Blog!

Warum nur ernte ich immer diesen schrägen Blick, wenn ich freien oder angestellten Kollegen sage: “Schreib ein Blog”? Liegt es daran, dass Journalisten immer noch glauben, ein Blog sei “doch nicht Gescheites”? Ist es sehr wohl: Dein eigenes Blog bringt Dir nur Vorteile Jeder Journalist sollte heute seine eigenen, regelmäßig gepflegten Auftritt im Internet haben. … Weiterlesen …

Journalist ist und bleibt ein erstrebenswerter Beruf, Herr Röper!

TweetNewsroom

@lousypennies Lieber Herr Lohmeyer, wie geht denn Journalismus richtig? Freue mich über Ihre Gedanken an Redaktion@newsroom.de! — Bülend Ürük (@buelend) 24. Januar 2013 Dieser kleine Twitter-Chat zwischen dem Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük und mir entzündete sich an der Aussage von Zeitungsforscher Horst Röper, Journalist sei kein erstrebenswerter Beruf mehr. Ich widersprach, stellte eine Behauptung auf – … Weiterlesen …

Bin ich noch Journalist?

„Ich bin Journalist.“ Das ist meine Antwort, wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt. Meistens bekomme ich dann bewundernd aufgerissene Augen zu sehen und höre ein „Oh, das ist ja spannend.“ Vermutlich haben meine Gesprächspartner in diesem Moment ein Bild von mir vor Augen, wie ich mit Splitterschutzweste und im Kugelhagel in Gaza oder Afghanistan … Weiterlesen …

„Richtiger“ Journalismus verdient Preise – aber kein Geld

Aleksey Danilovich Kivshenko [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein Plädoyer für das Ende des romantisch verklärten Journalismus. Das verstaubte Ideal hindert Euch lediglich am Erfolg im Web. In den Kommentaren zu „Jetzt mal Tacheles“ steht über die Seite Tippscout.de zu lesen: „Wenn selbst solch eine Seite […] es schafft, sollten es richtige journalistische Angebote auch schaffen können.“ „Richtige“ journalistische Angebote??? Was bitteschön ist … Weiterlesen …

Meine fünf journalistischen Vorsätze für das Jahr 2013

Gute Vorsätze halten bekanntlich nicht lange. Dennoch habe ich mir zum Jahreswechsel fünf ganz konkrete Aufgaben gestellt, die ich 2013 angehen möchte – und die vielleicht auch anderen Journalisten als Richtschnur dienen könnten. Denn ich bin überzeugt davon, dass sie die Grundlage bilden für meine nächsten 25 Jahre in unserem Beruf, der sich immer vom … Weiterlesen …